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Bund für vereinfachte rechtschreibung (BVR)

presseartikel10. 1954 → Berliner abstimmung
ortografie.ch ersetzt sprache.org ortografie.ch ersetzt in zukunft sprache.org
Allgemeine Deutsche Lehrerzeitung, [sonderdruck von H. Ringeln]

Berliner abstimmung zur rechtschreibung

Von den rund 100 anfragen, die jeden monat die auskunfts­stelle des Zweiges Berlin der Gesellschaft für Deutsche Sprache (Deutscher Sprachverein) erreichen, gehören regelmäßig über 50 in den bereich der recht­schreibung. So drängte sich der gedanke auf, einen eigenen abend aus­schließlich der recht­schreibung zu widmen, und zwar am 24. märz unter der absichtlich etwas heraus­fordernd gehaltenen frage: Ist unsere recht­schreibung noch „richtig“?

Es wurde die am besten besuchte und lebhafteste aller veranstaltungen. An die halb­stündige einführung in die geschichte der deutschen schreibweise durch den vorsitzer des zweiges schloß sich eine einstündige aussprache, die mit leidenschaft und schärfe geführt wurde. Der leiter der aussprache, prof. dr. Paul Altenberg, hatte mühe, die immer wieder hoch­gehenden wogen zu glätten.

Die meisten redner hielten zwar die gegenwärtige recht­schreibung für unvollkommen, lehnen aber eine wesentliche änderung, vor allem das beschränken der groß­schreibung auf satzanfänge, eigennamen und briefanreden, ab. Allerdings spiegelte sich darin — wie sich später zeigte — die meinung der anwesenden nicht richtig wider.

Nach der aussprache wurde über folgende vier fragen abgestimmt.

  1. Soll an der gegenwärtigen recht­schreibung etwas geändert werden?
  2. Soll die großschreibung — ausgenommen satz­anfänge, eigennamen und brief­anreden — abgeschafft werden?
  3. Halten Sie darüber hinaus eine gemäßigte vereinfachung für erstrebenswert? (z. b.: der stängel, die schänke, behände, über­schwänglich, frisör, ingeniör, fotograf, mikrofon, profet, strofe, reumatismus, rabarber, katarr, teater, apoteke, zilinder, sistem.)
  4. Sind Sie für eine radikale vereinfachung? (z. b.: di ban, der han, der brif, das bot, die fereinfachung, der fater, di forfäter, der wonnemonat mei, der fuks, di deiksel, der kleks, di kwelle, das kwadrat, di kwalität, der schef, di schifer, der krist, di kolera, das plato, das niwo.)

Von den abgegebenen 184 stimmzetteln waren leider nur 175 so ausgefüllt, daß sie eindeutig die meinung der abstimmenden erkennen ließen. Es stimmten

zu frage 1 (änderung überhaupt) 165 mit ja, 10 mit nein,
  2 (abschaffen der bisherigen großschreibung) 116 mit ja, 59 mit nein,
  3 (weitere gemäßigte vereinfachung) 111 mit ja, 64 mit nein,
  4 (radikale vereinfachung) 11 mit ja, 164 mit nein.

Das mitglied regierungsrat Walter Noffke hat das ergebnis noch nach verschiedenen richtungen aufgegliedert.

Es stimmten zu den fragen

  1234
  janeinjaneinjaneinjanein
114 männer 1095635172429105
61 frauen 56543183922259
alters­gruppen bis 30 jahre 2611710198126
31 bis 45 jahre 38426162220141
46 bis 60 jahre 54241153620353
über 60 jahre 46130173215542
22 lehrer 220166157319
11 korrektoren 1104765110
11 schrift­steller, redakteure, verleger buch­händler 1108365110
14 schüler und studenten 14077113113
12 steno­typistinnen und sekretä­rinnen 846666012
12 akademiker (ohne inge­nieure) 1028475111
11 ingenieure und techniker 1018356110
19 kfm. angestellte 181172145118
27 bank- u. verwaltungs­angestellte 270207189126
19 hausfrauen 190136145019
17 angehörige sonst. berufe 17011689215

Das ergebnis als ganzes darf man wohl richtig dahin deuten: Die menschen, die sich über unsere schreibweise gedanken machen, wünschen keinen radikalismus und keine über­stürzung, aber auch keine bequeme untätigkeit. Sie möchten vielmehr, daß von denen, die es angeht, etwas geschehe, damit — nicht nur in einem teil, sondern im gesamten deutschen sprachgebiet — die deutsche schreib­weise vereinfacht werde. Welcher segen könnte — von anderen vorteilen ganz abgesehen — daraus ent­sprießen, wenn für drei schuljahre je zwanzig deutsch­stunden frei würden, die bisher den schwierigkeiten unserer recht­schreibung gewidmet werden müssen und dann für die be­schäftigung mit dem wesen und der geschichte unserer Mutter­sprache, für die anleitung zum guten deutschen ausdruck und stil zur verfügung ständen.


Abdruck von Hans Ringeln: